Serotonin, das Glückshormon?

Zur Beantwortung der Frage, ob ein Hormon im menschlichen Körper in der Lage sein kann ein Glücksgefühl hervorzurufen, müssen wir uns erst selber einmal darüber klar werden, was Glück für uns ist? Für einen Sammler etwa wird der Fund einer schon lange gesuchten Miniatur ein ebenso starkes Glücksgefühl hervorrufen, wie für einen Single das Finden des idealen Partners, für eine werdenden Mutter die problemlose Geburt ihres Kindes oder für einen Übergewichtigen der richtige Weg, ein paar Pfunde zu verlieren. Glück bedeutet für jeden Menschen etwas anderes und die Suche nach dem individuellen Glück ist so alt wie die Menschheit.

Im antiken Griechenland beispielsweise wandten sich zahlreiche Menschen dem Hedonismus zu, einer Lebensform, die auf Aristippos zurückgeht und das private Glück als höchstes Gut in der Erfüllung persönlicher psychischer und physischer Lust ansieht. Die japanischen Geishas sahen und sehen ihre ureigendste Aufgabe einzig darin, ihren Herrn glücklich zu machen. Zahlreiche Zaubersprüche entstanden und geschäftstüchtige Magiere machten ein einträgliches Geschäft aus dem Wunsch ihrer Zeitgenossen nach Glück. Noch in unserem Jahrhundert wurde häufig die Alraune erwähnt, wenn es um glücksbringende Hilfsmittel ging. Der Sage nach wächst sie unter dem Galgen und entsteht dort aus dem Sperma oder Harn eines Gehenkten. Sie soll Reichtum und unsagbares Glück verschaffen, wenn man sie dort findet. In Großstädten wie London, Paris oder New York kann man sich heute bereits glücklich schätzen, wenn man nur einen freien Parkplatz findet.
Was nun also Glück für ihn bedeutet, muß jeder für sich selber entscheiden, doch negative Empfindungen können für viele Menschen gleich sein, deshalb versuchen wir die Frage nach dem Glückshormon einmal von der anderen Seite aus zu beantworten.

Drei Übel sind es, die in unserer heutigen, modernen Zeit als auslösende Faktoren für eine Vielzahl von gesundheitlichen Problemen angesehen werden und zahllose Menschen unglücklich machen: Streß, Depressionen und Übergewicht. Kombinieren sich diese Faktoren noch, so können die Folgen bereits nach wenigen Jahren lebensbedrohende Ausmaße annehmen. Während der allerseits ständig zunehmende Streß und auch Depressionen vor allem die Psyche schädigt, den so wichtigen Stoffwechsel negativ beeinflussen und das vegetative Nervensystem nachhaltig stören kann, belastet starkes Übergewicht den gesamten menschlichen Organismus, überfordert Gelenke, Muskeln, Sehnen sowie den Knochenbau und gilt als Auslöser zahlreicher Erkrankungen: Leberschäden (Fettleber), Gallenstörungen, Magen-Darm-Beschwerden, Blutdruck- und Herzprobleme und nicht zuletzt die immer mehr um sich greifende Diabetes (Zuckerkrankheit) können als Folge eines zu hohen Körpergewichtes auftreten. Oft ist die Gewichtszunahme der eigentliche Auslöser vorgenannter Probleme.

Zu den Themembereichen Übergewicht und Gewichtszunahme sind bereits zehntausende Bücher in den vergangenen Jahrzehnten geschrieben worden. Dies zeigt auf der einen Seite, wie sehr das Übergewicht jeden Betroffenen beschäftigt, auf der anderen, wie wenig man über die auslösenden Vorgänge wirklich wußte und auch heute noch weiß. Betrachtet man einmal die Vielzahl der angebotenen Diäten, so wird man rasch erkennen, daß sie sich entweder in ihrer Form wiederholen, oder aber auch völlig widersprechen. Waren es einst die Kohlehydrate, die man verbannen wollte, kamen danach die Fette und heute sind es die tierischen Eiweiße.
Noch vor nur zwei Jahrzehnten gab man neben dem Fett häufig den Teigwaren die Schuld an unkontrolliertem Übergewicht, heute sind sie aus der Sportlerernährung nicht mehr wegzudenken. Nur ein Jahrzehnt später hieß die angeblich ideale Abnehmformel: mageres Fleisch und Salate machen schlank! Heute wiederum wollen zahlreiche Ernährungswissenschaftler das Fleisch aus einer gesunden und schlankmachenden Ernährung völlig verbannen und das Loblied der vegetarischen Kost wird gesungen. So ändern sich immer wieder Erkenntnisse und die daraus resultierenden Maßnahmen. Doch die Ergebnisse in der Praxis des Abnehmens sind stets gleich geblieben: Einigen Menschen gelingt es, mit Hilfe von Ernährungsumstellungsmaßnahmen und Nahrungsmittelreduzierung abzunehmen, anderen nicht. Einige Menschen können dann ihr niedrigeres Gewicht auf Dauer halten, doch die Mehrzahl nimmt nach einem erfolgreich verlaufenen Diätversuch anschließend ebenso rasch wieder zu. Hier sind körperliche Regulatorien im Spiel, die sich nur einfach über Nahrungsmittel nicht verändern lassen. Es gibt wesentlich mehr Einflüsse auf die Gewichtsregulation, als bisher angenommen.

Medizinisch betrachtet ist Übergewicht nicht nur einfach ein Versagen des Willens oder falsches Eßverhalten; es ist auch keine Störung der körpereigenen Gewichtsregulatorien. Es ist ein chronischer medizinischer Zustand (medical condition) wie beispielsweise erhöhter Blutdruck oder Diabetes melitus (Zuckerkrankheit). Bei den betroffenen Personen ist das Körpergewicht ebenso sorgfältig reguliert, wie bei den nicht betroffenen Menschen, aber die Regulierung findet im Rahmen eines erhöhten set poins statt. Dieser biologische set point, stark von genetischen Dingen beeinflußt und nur äußerst schwierig zu verändern, wird durch Neurotransmitter kontrolliert, die Signale wie "Hunger" oder "Sättigung" übertragen. Nur Menschen, die über eine ausgeprägte Willenskraft verfügen und in der Lage sind, auch Unbehagen und körperliche Querelen hinzunehmen, sind letztendlich auch in der Lage, diesem biologischen Mechanismus zu trotzen. Sie sind es, die über Diäten abnehmen und dieses Gewicht dann auch halten können, eine verschwindend kleine Zahl, betrachtet man die Vielzahl der Übergewichtigen in den Industriestaaten in ihrer Gesamtheit.

Zahlreiche internationale Studien haben gezeigt, daß die Masse aller Menschen, die in Folge diätetischer Maßnahmen Gewicht reduzierten, dieses nach spätestens drei bis fünf Jahren wieder "regeneriert", sprich zugelegt haben. Ihr persönlicher set point hatte dies so reguliert.
Wenn das Eßverhalten also einzig das Resultat einer Mixtur von Neurotransmittern ist, dann könnten pharmazeutische Mittel dies doch leicht regulieren! Diese Schlußfolgerung bietet sich geradezu an, doch so einfach ist es leider nicht, wie amerikanische Untersuchungen in den 70er und 80er Jahren gezeigt haben. Man ging von der Annahme aus, daß Amphetamine sich als Apetitzügler eignen und bald waren die USA im Amphetaminfieber. Im Land der Übergewichtigen - mehr als 60 Millionen Bürger der USA sind schlicht und einfach zu fett - hungert man nach einer Pille, mit deren Einnahme das Übergewicht quasi alleine verschwindet. Anfänglich funktionierte die Geschichte ja auch. Die Übergewichtigen verspürten nicht mehr so starke Hungergefühle und nahmen logischerweise auch ab, doch dann setzten sie die Amphetamine wieder ab. Das Ergebnis setzte bereits wenige Wochen später ein. Das Gewicht stieg bei fast allen Menschen wieder an und nach nur wenigen Monaten hatten sie ihr vorheriges Übergewicht wieder erreicht. Medizinische Studien und Laborversuche mit Menschen und Tieren brachten nahezu gleiche Ergebnisse: Während man Amphetamine zu sich nimmt, kann man abnehmen, setzt man die Mittel wieder ab, reguliert der Körper alles wieder in den vorherigen Zustand.

Der amerikanische Mediziner Robert Weintraub, in seinem Land ein angesehener Ernährungswissenschaftler, untersuchte dieses Phänomen und brachte seine Erkenntnisse auf einen Punkt: "Wenn Übergewicht ein chronischer medizinischer Zustand wie hoher Blutdruck ist, dann ist das Zunehmen als Folge einer Medikamentenabsetzung kaum anders anzusehen, als das Wiederansteigen des Blutdrucks nach der Absetzung blutdrucksenkender Medikamente."
Bereits in den frühen achtziger Jahren unseres Jahrhunderts brachten Laboruntersuchungen einen ersten Zusammenhang zwischen Serotonin und Eßstörungen hervor. Diese Erkenntnis war aber eher ein Zufallsprodukt. Bei Untersuchungen mit dem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Fluoxetine stellte sich bald eine Nebenwirkung heraus: Gewichtsabnahme bei den Versuchstieren. Auf dieser Erkenntnis entstand ein theoretischer Gedankenansatz, den es in den folgenden Jahren zu beweisen galt:

  • Kohlenhydratreiche Nahrung wird in Zucker gewandelt, Zucker stimuliert die Bauchspeicheldrüse zur Produktion von Insulin, Insulin erhöht den Tryptophanspiegel im Gehirn, Tryptophan ist der Vorläufer von Serotonin und Serotonin wiederum regelt unserer Stimmungen, Launen und wie wir bereits wissen auch unser Hungergefühl. So steigern Übergewichtige ihr eigenes Wohlbefinden durch mehr Zuführung von Kohlenhydraten!

Ein teuflischer Kreislauf, den es zu durchbrechen gilt, will man wirklich und auf Dauer zu seinem persönlichen Idealgewicht und somit zu einem glücklicheren Leben finden.

Die Frage, die wir uns zu Beginn gestellt haben: "Serotonin, ein Glückshormon?" kann also eindeutig mit "Ja" beantwortet werden und das trifft auf alle Menschen zu, egal wie schlank oder dick sie sind und was sie individuell unter Glück verstehen. Ob Serotonin alleine aber schlank und glücklich machen kann, ist eine andere Frage, der wir in den folgenden Kapiteln nachgehen werden. Die Anfänge der Serotonin-Forschung wurden aber nicht im Hinblick auf Fragen der Ernährung sondern in einem völlig anderen medizinischen Bereich durchgeführt: in der Psychatrie.

Wenn man sich einmal etwas näher mit Serotonin befaßt, erkennt man recht bald, zu welchen großartigen Leistungen dieser kleine Botenstoff (Neurotransmitter) im menschlichen Körper in der Lage sein kann. Obwohl nur in einer Größenordnung von etwa 10 mg im Körper vorhanden, gibt es keine weitere Substanz, die so umfangreiche Aktionen im Körper vollbringen kann wie Serotonin. Das Spektrum der pharmakologischen und psychologischen Effekte ist so groß, wie bei keinem anderen Neurotransmitter.
Serotonin wird in drei Hauptbereichen des Körpers angetroffen:

  • im Darmtrackt; hier beeinflußt es die den Magen und den Darm betreffenden Muskelbewegungen,
  • in den Blutgefäßen und
  • im Zentralen Nervensystem (ZNS).

Vor allem die Effekte das ZNS betreffend sind derzeit wohl am weitesten erforscht. Hier wirkt Serotonin u.a. auf:
Erinnerungs- und Lernvermögen, Appetitkontrolle, Beklemmung, Verhaltensweisen, Sexualität, Vorstellungskraft, Schlafverhalten, Depression, Schizophrenie, körperliche Temperaturregelung, Muskelbewegungen, Drüsenfunktionen, Schmerz, Migräneanfälligkeit, hoher Blutdruck und kardiovaskuläre Funktionen.

Bei so einer Bandbreite an Wirkungsweisen ist es nich weiter verwunderlich, daß sich die Wissenschaft erst langsam an alle Bereiche herantasten muß und viele Thesen und Theorien noch nicht bis ins letzte Detail erforscht sind. Da man Serotonin bis heute nicht, wie etwa Melatonin, synthetisch herstellen kann, gibt es auch keine Möglichkeit, den Botenstoff in Pillen- oder Spritzenform zu verabreichen, um so den Serotoninspiegel im Körper kontrolliert zu erhöhen. Um aber dennoch auf die Konzentration im Körper einwirken zu können, ging die Wissenschaft den umgekehrten Weg: "Wenn ich kein Serotonin zugeben kann, dann verringere ich den Abbau!" hieß die Überlegung. So entstanden zu Beginn der 80er Jahre in den Labors der Pharmakonzerne sogenannte Melatonin-Wiederaufnahmehemmer. Mit Hilfe dieser Medikamente kann man den Abbau des Serotonins im Körper verlangsamen. Sie wirken, bildlich dargestellt, wie ein Staudamm in der Natur, der den Abfluß des Wassers aufhält und so einen See erzeugt, aus dem das Wasser dann nur noch kontrolliert entweichen kann.

In der Praxis wurden diese Mittel zuerst in der Psychatrie eingesetzt und erzielten dort auch meßbare Erfolge, vor allem bei Depressionen und anderen Neurosen. Mehr durch Zufall denn gewollt fand man bei Laborversuchen mit Tieren in den USA heraus, daß sich diese Serotonin-Wiederaufnahmehemmer auf das Eßverhalten der Versuchstiere auswirkte und somit auch auf die Gewichtskontrolle. Es enstand eine eigene Untersuchungsreihe zu diesem Themenkomplex und man fand heraus, daß die Tiere mit einem relativ hohen Serotoninspiegel weniger fraßen und so natürlich abnahmen, während ihre niedriger serotonierten Partner weiter konsumierten und ihr Gewicht hielten oder sogar zulegten. Im Rahmen weiterer Untersuchungen fand man dann heraus, daß bestimmte Nahrungsmittel über das körpereigene Insulin und den Tryptophanspiegel im Gehirn auf den Serotoninhaushalt einwirken und so zu Übergewicht führen können. Kommen noch seelische Probleme, Streß und/oder Depressionen hinzu, befindet der entsprechende Mensch sich in einem Kreislauf, dem er kaum entringen kann.

An dieser Stelle setzt nun die Überlegung ein, wie man mit Hilfe der über die Eigenschaften des Serotonin gewonnenen Erkenntnisse bei Übergewichtigen regulierend eingreifen kann. Dieser Themenbereich ist inzwischen in vielen Ländern Ziel groß angelegter Untersuchungen. In den USA hat man auch bereits erste Ergebnisse erzielt, weil es dort vor allem die Pharmakonzerne sind, die mit Millionenbeträgen diese Forschung vorantreiben, denn wer als erster die Pille auf den Markt bringen kann, die man nur einnehmen muß, um in wenigen Tagen oder Wochen sein Idealgewicht zu erreichen, macht weltweit das Geschäft des neuen Jahrhunderts!
Um es vorweg zu nehmen, diese Pille gibt es auch mit Hilfe von Serotonin nicht und wird es meines Erachtens wohl auch in dieser gewünschten Form nie geben, doch mit Hilfe neuer Erkenntnisse kann man sicherlich den Millionen helfen, die sich bisher mit den teilweise unsinnigsten Diäten sinnlos gequält und ihr Übergewicht doch nicht wirklich verloren haben. Mit Serotonin bietet sich hier eine echte Hilfe an, doch das Abnehmen ist nicht nur durch eine einzige Funktion des Körpers zu steuern, so daß man es, wie mit einem Lichtschalter, einfach ein- oder ausschalten kann. Das Gewicht ist bei den meisten Übergewichtigen direkt von ihrem Eßverhalten und den zugeführten Nahrungsmitteln abhängig. Nur wenige Menschen, keine 4 % der "Dicken", nehmen auf Grund körperlicher Fehlfunktionen zu. Die meisten "fressen" sich dick, doch setzt hier die logische Frage ein: Warum?

In unzähligen Studien versucht man seit Jahrzehnten diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Es wurden logisch klingende aber auch völlig unsinnige Thesen hierzu von den Ernährungswissenschaftlern aufgestellt und wieder verworfen. Im vergangenen Jahr kam beispielsweise aus England die Meldung, nun sei endlich das Gen gefunden, das schlank oder dick machen kann, doch letztendlich haben sich all diese Meldungen nur als Erfolge und Ergebnisse in Teilbereichen der Gewichtskontrolle herausgestellt.

  • Dank der neuen Ergebnisse aus der Serotoninforschung wissen wir heute, daß das Eßverhalten von diesem Botenstoff mit gesteuert wird. Serotonin übermittelt dem entsprechenden Teil unseres Gehirnes, ob wir nun satt oder hungrig sind. An diesem Punkt gilt es nun anzusetzen, will man das Eßverhalten der Übergewichtigen beeinflussen.

Nur wenn beide Bereiche richtig zusammenwirken, also Geist und Körper eine gesunde Einheit bilden, kann man sein seelischen Probleme und das Übergewicht auch wirklich auf Dauer in den Griff bekommen und glücklicher als zuvor leben. Bei vielen Menschen sind es seelische Probleme wie Streß, Ärger oder Depression, die mit dem Griff zur Kühlschranktür abgebaut werden, auch wenn dies meist unbewußt geschieht. Nur wenige Menschen sind so willensstark, um gegen ihre eigenen Empfindungen und die sie steuernden Hormone ankämpfen zu können (ich bin es auch nicht, Anm. des Autors). Diesen Menschen gelingt es dann auch, mit Hilfe einer xbeliebigen Diät abnehmen zu können. Die ausgewählte Diät ist hierbei nur sekundär wichtig und die seelische Stütze, an der diese Menschen sich festhalten, bis sich ihr Körpergewicht auf das gewünschte Idealmaß reduziert hat. Sie sind es auch, die uns immer wieder in den Medien und vor allem in der Werbung für bestimmte Diätprodukte als Beispiele aus der Praxis vorgestellt werden (der sog "Vorher-Nachher-Effekt"). Das ist nach neuen Erkenntnissen völliger Quatsch! Es sind keine realen Vorbilder sondern Ausnahmepersönlichkeiten. Die Masse der Übergewichtigen ist meist hilflos ihren inneren Zwängen und den Signalen der Hormone und Botenstoffe ausgeliefert.

Dies sind Auszüge aus dem Serotonin-Buch des Autors Helmut Isert, das im Econ-Verlag bis zu Beginn dieses Jahres verlegt wurde. Leider ist das Buch derzeit nicht lieferbar.

Das DeaM Team

 

 

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