Blutdruck-Präparat zeigt Wirkung bei epileptischen Anfällen
Arbeiten zur Erforschung von Kalziumkanälen im Gehirn
Der ursprünglich für die Bluthochdrucktherapie entwickelte Wirkstoff
Mibefradil, der wegen unerwünschter Wirkungen auf die Leber vom Markt genommen
werden musste, könnte in einem ganz anderen Indikationsgebiet eine überraschende
Renaissance erleben: Möglicherweise ist künftig ein Einsatz gegen
eine bestimmte Form der Epilepsie denkbar. Zu dieser Vermutung führen Forschungsarbeiten
des Physiologen PD Dr. rer. nat. Thomas Budde aus Magdeburg. Um Gewissheit zu
erlangen, wird sich Budde mit der Erforschung niederschwelliger Kalziumkanäle
in bestimmten Hirnregionen (im dorsalen Thalamus) und mit deren Rolle bei der
Auslösung epileptischer Aktivität beschäftigen. Zur Förderung
erhielt er am 05. November 2002 ein Graduiertenstipendium der Novartis-Stiftung
für therapeutische Forschung.
Kalziumkanäle in menschlichen Zellmembranen sind Eiweiße (Proteine),
die wassergefüllte Poren bilden. Sie besitzen bewegliche Tore und haben
die Aufgabe, je nach Notwendigkeit Kalzium-Ionen in die Körperzellen einzulassen
oder eben nicht. Die Signale zum Öffnen und Schließen der Tore erhalten
die Kalziumkanäle durch die elektrische Ladung der Zellmembran
Überall im Körper spielen die Kalziumkanäle eine wichtige Rolle
bei der biologischen Aktivität von Zellen. Ein Kalziumeinstrom in Muskelzellen
führt zum Beispiel zur Kontraktion des Muskels. Auch bei der Befruchtung
und sogar bei Vorgängen, die zum Zelltod führen, ist Kalzium involviert.
Im Gehirn ist Kalzium bedeutsam für die Signalverarbeitung, indem die Kalzium-Ionen
in Nervenzellen eine ganze Reihe von elektrischen und biochemischen Prozessen
in Gang setzen. Auch an Störungen dieser elektrischen Aktivität von
Nervenzellen, wie sie beispielsweise epileptische Anfälle darstellen, ist
der Kalziumeinstrom in die Zellen wesentlich beteiligt.
Erstaunlicherweise hat man in den letzten Jahren einen Zusammenhang gesehen
zwischen der Aktivität der Hirnzellen in der Region des Thalamus („Sehhügel“)
in einigen Phasen des Schlafes einerseits und bei einer epileptischen Erkrankung,
der „petit-mal-Epilepsie“, andererseits. In beiden Situationen sind
die Thalamuszellen rhythmisch tätig und unter bestimmten Bedingungen finden
sich im EEG nachweisbare Übergänge zwischen beiden Zuständen.
Auch hier spielen wieder Kalziumkanäle eine entscheidende Rolle, in diesem
Fall die so genannten niederschwelligen Kalziumkanäle, welche schon bei
relativ negativen Werten der elektrischen Ladung an der Zellmembran geöffnet
werden.
Bislang wird die petit-mal-Epilepsie durch Blockade der Kalziumkanäle mittels
Ethosuximid behandelt. Budde hofft nun den Wirkstoff Ethosuximid durch einen
anderen, neu zu entwickelnden Kalzium-Antagonisten, einen Abkömmling des
Mibefradil, zu ersetzen. Weil diese Substanz sehr viel spezifischer, zielgenauer
gerade an den niederschwelligen Kalziumkanälen wirkt, könnte sie schon
in deutlich geringerer Dosis erfolgreich sein. „Man müsste Mibefradil
als Leitsubstanz, als Ausgangspunkt betrachten wegen seiner hohen Affinität
zu den niederschwelligen Kalziumkanälen“, so Budde. „Mittels
computergestützter Methoden – als ‚targeted drug design’
bezeichnet – müssten dann die Eigenschaften von Mibefradil soweit
verändert werden, dass Nebenwirkungen an Leber oder Herz-Kreislauf-System
ausgeschlossen werden können.“ Außerdem, so Budde, müsse
gewährleistet sein, dass der so entwickelte Wirkstoff leicht ins Gehirn
gelangen, also die „Blut-Hirn-Schranke“ überwinden könne.
Dies sei eine wichtige Voraussetzung für die Behandlung von Epilepsien.
Budde geht in seinen Hoffnungen sogar noch weiter: Letztlich treten auch bei
Parkinson, Tinnitus und einigen Formen von Schmerz und von Depressionen im Thalamus
ähnliche elektrische Vorgänge wie bei der petit-mal-Epilepsie auf
und so könnten vielleicht auch Patienten mit diesen Erkrankungen in der
Zukunft von einem Medikament ähnlich dem Mibefradil profitieren.
Die Novartis-Stiftung für therapeutische Forschung stellt jedes Jahr deutschlandweit
bis zu 93.000 Euro für Graduierten-Stipendien zur Verfügung. Die Vergabe
dieser Fördermittel erfolgt völlig unabhängig: Die Einrichtungen
von Forschung und Lehre der Universitäten werden dazu aufgefordert, aus
dem Kreise ihrer Nachwuchswissenschaftler selbst die vielversprechendsten Projekte
zur Stipendienvergabe vorzuschlagen.
Diesen Beitrag übersandte uns:
Pressedienst „wissenschaftlich medizinische erkenntnisse“ (wme)
c/o Redaktionsbüro Martin Wiehl
Bebelstraße 53
99086 Erfurt
Tel. 0361/6435413
Fax 0361/6435406
eMail Martin.Wiehl@t-online.de
November 2002 |
|
|