Handys, Pocket-Computer und Navigationsgeräte sind im Alltag oft unverzichtbar. Sie haben aber auch Nachteile - unsere Vergesslichkeit nimmt zu. Eine Umfrage in Südkorea liefert erstmals Zahlen.
Marco Brocato konnte den kleinen Jungen noch vor dem Ertrinken retten. Mit dem beherzten Sprung des 42-Jährigen in voller Kleidung in den Swimmingpool ging allerdings auch sein Mobiltelefon in seinen Shorts baden. Triefend nass versagte es ihm nun seinen Dienst. «Und ausschließlich im Handy war die Nummer des Taxifahrers gespeichert, der mich am nächsten Morgen zum Flughafen bringen sollte», erinnert sich Brocato. Nachdem er das Handy zwei Tage hatte trocknen lassen, funktionierte es zwar wieder. «Doch in der Zwischenzeit konnte ich an alle meine abgespeicherten Geschäftsnummern nicht heran», erzählt er.

Brocato geht es wie vielen anderen, die sich auf die moderne Technik verlassen: Handys und Pocketcomputer aller Art dienen uns als externe Gedächtnisspeicher, die uns überall begleiten und den Alltag erleichtern. Doch ihre ständig zunehmende Bedeutung hat weitreichende Folgen. Sie führen zu etwas, was in Fachkreisen «digitale Demenz» genannt wird: Unsere Abhängigkeit von technischen Geräten macht uns immer vergesslicher.

Selbst Telefonnummern, die wir täglich benutzen, kennen wir längst nicht mehr auswendig, sondern rufen sie in unseren programmierten Telefonen ab. Die Adressen von Freunden und Bekannten hat niemand mehr im Kopf, weil man Briefe oft nicht mehr per Post verschickt, sondern lieber mal eine E-Mail schreibt.

Weit verbreitete Vergesslichkeit

«Selbst zum Supermarkt ein paar Straßen weiter benutze ich oft das im Auto eingebaute Navigationssystem, es lotst mich überall sicher hin», sagt die Kölnerin Manuela Bicker (34). Allerdings mit fatalen Folgen für ihre Ortskenntnisse, gibt die dreifache Mutter zu, die bereits seit einem Jahr in Köln wohnt und sich immer noch nicht auskennt.

In einer vor kurzem in Südkorea erstellten Umfrage unter rund 2.000 Büroangestellten klagten 63 Prozent über Vergesslichkeit. Und rund ein Fünftel von ihnen machte dafür ihre wachsende Abhängigkeit von elektronischen Geräten wie Handys und Computern verantwortlich.

«Da sich die Menschen mehr auf die Informationssuche als auf das Erinnern verlassen, entwickelt sich die Gehirnfunktion des Suchens, während sich die Gedächtniskapazität vermindert», sagt Professor Yoon Se-chang vom Samsung Medical Center in Seoul. Eine starke Abhängigkeit von digitalen Geräten vermindere die Fähigkeit, sich zu erinnern.

Keine Krankheit

Bei der «digitalen Demenz» handelt es nicht um eine Krankheit wie etwa bei der echten Demenz, die durch eine voranschreitende Verschlechterung kognitiver Fähigkeiten gekennzeichnet ist und nicht geheilt werden kann. Digitale Demenz ist vielmehr eine soziale und kulturelle Erscheinung, die die Veränderungen der modernen Gesellschaft verkörpert.

Lange Zeit war das Ausbildungssystem westlicher Nationen vor allem darauf begründet, Informationen, Zusammenhänge und Fertigkeiten zu verinnerlichen und aus dem Gedächtnis abrufen zu können. Ältere Menschen können oft noch zu jeder beliebigen Zeit lange Gedichte fehlerfrei wiedergeben, die sie als Schüler vor Jahrzehnten auswendig gelernt haben.

An heutigen Schulen wird dies immer weniger praktiziert. «Schüler lernen kaum noch Gedichte auswendig», sagt der pensionierte Studiendirektor und Fachleiter für Deutsch, Peter Hillebrand (66), aus Essen. Als er seine Lehrerlaufbahn vor über 30 Jahren angefangen hat, sei das Auswendiglernen viel gängiger gewesen. Die Fähigkeit, sich lange Texte zu merken, sei bei den Schülern heute dagegen ziemlich verkümmert.

Aber auch wenn er als Deutschlehrer ein Gedicht von Schiller oder Goethe sehr zu schätzen weiß, trauert er den alten Zeiten nicht hinterher: «Schüler können heutzutage dafür ganz andere Dinge, sie sind etwa sehr viel geschulter im Umgang mit elektronischen Geräten.» Und diese Fähigkeit sei heute eben deutlich gefragter als das Auswendiglernen von Texten oder Telefonnummern. (Barbara Driessen/epd)

Quelle: Netzeitung, medline u.a.


 
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