Ein Forscherteam stellt die Ernährungswissenschaft auf den Kopf: Die bisher als schlecht angsehenen Sauerstoffradikale im Körper gelten nun als gut. In der Diskussion um Maßnahmen gegen das vorzeitige Altern sind sie das personifizierte Böse: Freie Radikale, im Speziellen die reaktiven Sauerstoffspezies, werden für Alterungsprozesse verantwortlich gemacht und gelten als Auslöser für zahlreiche Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Arteriosklerose.

Sie entstehen in den «Kraftwerken» der Zelle, den Mitochondrien, als Nebenprodukt der Zellatmung, aber auch durch Entzündungszellen, um so Viren und Bakterien zu schädigen. Die Radikalen können aber auch von außen aktiviert oder zugeführt werden – etwa durch UV-Strahlung, Nahrung oder Zigarettenrauch.

Längeres Leben durch Stress

Der Organismus wird durch sie in oxidativen Stress versetzt und Stress schadet bekanntlich dem Menschen. Das stimmt so nicht ganz, hält nun der Jenaer Ernährungswissenschaftler Michael Ristow entgegen und sagt sogar, oxidativer Stress könne das Leben verlängern.

Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke konnte Ristow an Fadenwürmern (Caenorhabditis elegans), die in der Forschung als Modellorganismus verwendet werden, zeigen, dass oxidativer Stress und das damit verbundene Vorkommen von reaktiven Sauerstoffspezies die Lebenserwartung deutlich verlängert.

Verdoppelte Lebensdauer ohne Zucker

«Umgekehrt verkürzt die Einnahme von bestimmten Vitaminen und Antioxidantien, die die Entstehung von Freien Radikalen verhindern, die Lebensspanne der Tiere», erläutert Ristow. Ihre Ergebnisse präsentieren die Forscher aktuellen Ausgabe des Wissenschafts-Journals Cell Metabolism.

Ausgangspunkt der Studie war die Beobachtung, dass der Verzicht auf Traubenzucker (Glukose) das Leben der Würmer entscheidend verlängert. So erreichten die Fadenwürmer bei normaler Nahrung ein durchschnittliches Alter von 30 Tagen. Blockierten die Forscher den Zucker-Stoffwechsel der Würmer, so überlebten diese ihre normal gefütterten Artgenossen jedoch um bis zu 40 Tage.

Aktivierter Abwehrmechanismus

«Dass eine kalorienarme Ernährung das Leben verlängern kann, ist der Wissenschaft jedoch nicht neu», sagt Ristow. Eine Schlüsselrolle dabei spielen die Mitochondrien. Darin wird die Glukose in kleinere Moleküle zerlegt, was der Zelle Energie liefert. Fehlt es an Glukose, schalten die Mitochondrien auf andere Wege der Energiegewinnung um: Dann werden mit Hilfe von Sauerstoff vorwiegend Fette «verbrannt».

Als Nebenprodukte dieser Verbrennung entstehen wie bereits eingangs erwähnt die reaktiven Sauerstoffspezies: umso mehr je stärker dieser Stoffwechselweg - durch den Verzicht auf Glukose - genutzt wird. Und genau das verlängert nach Ansicht der Forscher den Fadenwürmern das Leben. «Reaktive Sauerstoffspezies aktivieren die Abwehrmechanismen der Zellen gegen oxidativen Stress, was sich in der Bilanz positiv auf die Lebenserwartung auswirkt», schlussfolgert Ristow.

Fragwürdige Nahrungsergänzung

Auch wenn nach jetzigem Erkenntnisstand abzuwarten bleibt, ob sich diese Ergebnisse direkt auf den Menschen übertragen lassen, könnten sie auch für die Ernährung von Menschen weit reichende Konsequenzen haben. «Sie bestätigen nicht nur, dass Zucker in unserer Nahrung nur in Maßen vorkommen sollte», sagt Ristow.

Es sei vor allem im Hinblick auf die heute großzügig praktizierte Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, insbesondere Antioxidantien ein Umdenken nötig. Vor allem die Einnahme von Vitaminpräparaten, wie Vitamin C oder E, sieht der Ernährungswissenschaftler kritisch. «Sie verhindern die Entstehung von reaktiven Sauerstoffspezies und somit möglicherweise auch deren lebensverlängernde Wirkung.»

Freie Radikale haben also durchaus ihre wichtige Funktion im Körper – der Punkt ist, sie im Gleichgewicht zu halten. Nimmt der Körper zuviel davon auf – etwa durch Zigarettenrauch oder UV-Strahlung – drohe Gefahr für die Gesundheit, gibt Ristow zu bedenken. (nz)

Quelle: Netzeitung u.a. Oktober 2007


 
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